Besuchsverbote und das Recht Betroffener auf persönliche Erfüllung der Besprechungspflicht

Für stationäre Einrichtungen, in denen rechtliche betreute Menschen leben, gelten in allen Ländern Besuchs-/Betretungsverbote zu deren Schutz und zum Schutz der Pflege- und Betreuungskräfte. Das bedeutet auch, dass Besuche von rechtlichen Betreuern in den Einrichtungen (und besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe) grundsätzlich unzulässig sind – und Betreuer dies akzeptieren, weil es auch ihrem eigenen Schutz dient. Der Kontakt zu den Betreuten muss dann per Telefon oder Skype o.ä. hergestellt werden.

Eine Zeitlang wird dies noch funktionieren. Es gibt aber auch Betreute, die (erstaunlicherweise) nur ihren Betreuern vertrauen und auf einen persönlichen, d.h. face-to-face-Kontakt angewiesen sind, weil als Folge ihrer psychischen Beeinträchtigung, insbesondere einer Wahnerkrankung, ein nichtpersönlicher Kontakt zur Eskalation in einer psychischen Krisen führen kann. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat bereits vor einem Anstieg der Suizidrate bei einer länger andauernden Kontaktsperre gewarnt.

In solchen Fällen ergibt aus der Besprechungspflicht des Betreuers gem. § 1901 Abs 3 Satz 3 (die anders als bei Vormundschaft gem. § 1793 i.V.m. § 1908i BGB nicht mit einer monatlichen persönlichen Kontaktpflicht verbunden ist) ein Recht des Betreuten auf persönlichen Kontakt mit dem Betreuer zur Erfüllung dessen Verpflichtung zur Besprechung wichtiger Angelegenheiten (nicht zum therapeutischen Gespräch). Dann wäre der Betreuer doch zum Besuch und zum Betreten der Einrichtung berechtigt, weil verpflichtet, natürlich unter Wahrung der hygienischen Standards (Abstand, ggf. Trennscheibe o.ä.).

Dem stehen in einigen Bundesländern aber die Ausführungsvorschriften zu §   Infektionsschutzgesetz entgegen. Wie bei allen staatlichen Eingriffen in Grundrechte ist die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Wichtige Kriterien zur Differenzierung wäre hier der Grad der Verletzlichkeit („Vulnerabilität“) der betreuten Menschen im Hinblick auf Alter und Vorerkrankungen, sodass ein körperlich gesunder,  geistig oder psychisch behinderter Mensch jüngeren oder mittleren Alters ein Recht auf persönlichen Kontakt zu seinem Betreuer eher durchsetzen könnte als ein körperlich beeinträchtigter Bewohner eines Altenpflegeheims.

In § 2 der nordrhein-westfälischen Corona-Schutzverordnung sind ausnahmsweise Besuche erlaubt, die „aus Rechtsgründen erforderlich“ sind. Baden-Württemberg hat von vornherein Fachkrankenhäuser für Psychiatrie bzw. Psychosomatik vom Besuchsverbot ausgenommen, nicht aber Fachkrankenhäuser für Gerontopsychiatrie. Das Besuchsverbot erstreckt sich auch auf anbieterverantwortete ambulant betreute Wohngemeinschaften nach dem Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz. Ausnahmen vom Besuchsverbot aus „beruflichen Gründen“ können Einrichtungsleitungen aussprechen.

Berlin und in ähnlicher Weise BrandenburgRheinland-Pfalz, das SaarlandSachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein rationieren zulässige Besuche in Einrichtungen, ausgenommen Palliativeinrichtungen, auf einen pro Tag und eine Stunde, außer für Seelsorger. In Niedersachsen wird ähnlich wie in Berlin und Brandenburg (ohne Rationierung der Besuche) die Betretung neben Seelsorgern auch Urkundspersonen gestattet.

Die in der Allgemeinverfügung der Stadt Bremen genannte Ausnahme vom Besuchsverbot „aus berechtigtem Interesse“ wird in der Begründung beschränkt auf Notlagen und Palliativsituationen, ähnlich in Sachsen-Anhalt. Einrichtungsleitungen in Sachsen können für die Sterbebegleitung Ausnahmen zulassen. Aus dieser Übersicht ergibt sich, dass die Verhältnismäßigkeit der Besuchsverbotsregelungen für rechtliche Betreuer in den Bundesländern sehr unterschiedlich gestaltet ist. Dies spricht dafür, dass das Recht der Betreuten auf persönlichem Kontakt zum Betreuer auch in Ländern mit strengeren untergesetzlichen Regelungen weiterhin besteht und von den rechtlichen Betreuern ggf. durchgesetzt werden muss. Dazu wäre eine Ausnahmegenehmigung durch die zuständige kommunale Behörde (Gesundheitsamt oder Ordnungsamt) zu beantragen und im Ablehnungsfall dagegen mit einem Antrag auf eine einstweilige Anordnung durch das Verwaltungsgericht vorzugehen.