Wie sich die Berufsbetreuer mit hohen Forderungen den eigenen Ast absägen
Sofort 24 Prozent mehr Zeit und 25 Prozent mehr Geld für Berufsbetreuer! Beide Betreuergewerkschaften eröffnen die diesjährige Tarifrunde in der Betreuungsindustrie mit einer hohen Forderung, um die Arbeitgeber unter Druck zu setzen und drohen mit Warnstreiks …
Nein, es sind eben keine Tarifverhandlungen, die die beiden Berufsverbände BdB und BVfB mit ihrer gemeinsamen Forderung nach mehr 24 % höheren Stundenansätzen und 25 % höheren Stundensätzen einleiten – auch deshalb, weil flächendeckende Streiks von Berufsbetreuern völlig undenkbar sind (nicht aus ethischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen). Wieviel zusätzliches Geld am Ende tatsächlich bei Berufs- und Vereinsbetreuern ankommen wird, ist eher ein Gnadenakt der Länderjustizminister. Und weil die Länderjustizminister nicht die Absicht haben, überhaupt mehr Geld für Betreuungen auszugeben, werden alle Vergütungszuwächse letztlich mit weniger vergüteten Betreuerbestellungen bezahlt werden müssen.
Dabei sind die beiden Komponenten der „Sofortforderungen“ der Verbände völlig plausibel: 25 % höhere Stundensätze würden nur den Inflationsausgleich seit der letzten Erhöhung im Jahr 2005 gewährleisten. 24 % mehr Zeitaufwand ergibt sich aus den Ergebnissen des Abschlussberichts der ISG-Studie des Bundesjustizministeriums zum tatsächlichen Zeitaufwand: 4,1 Stunden monatlich pro Fall statt der 3,3 durchschnittlich tatsächlich vergüteten Stunden.
Aber während die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ihre Arbeitskräfte tatsächlich mit einer attraktiven Bezahlung halten oder gewinnen müssen, kann das den Länderjustizministern weitgehend egal sein: sie müssen es nur schaffen, die Zahl der Betreuerbestellungen mindestens in dem Tempo reduzieren, wie Berufsbetreuer aus Altersgründen oder aus Existenzangst ausscheiden. Die Torheit, Betreuungsvereine reihenweise pleitegehen zu lassen, die sie (und die Kommunen) für ihre Betreuungsvermeidungsstrategie dringend brauchen, sollten sich die Länderjustizminister nicht länger leisten.
Solange es keine formalen Zulassungsvoraussetzungen gibt, können es sich die städtischen Betreuungsbehörden weiterhin leisten, mit selbstgestrickten Prüfungen ungeeignete Bewerber zurückzuweisen. Behörden in ländlichen Einzugsbereichen haben die hingegen die gleichen Rekrutierungsprobleme wie alle anderen öffentlichen Auftraggeber auch, die Fachkräfte außerhalb geregelter Berufsbilder suchen.
Die Betreuerberufsverbände stecken in einem mehrfachen Dilemma:
- Sie müssen viel fordern, weil sich ihre Mitglieder sonst fragen, wofür sie überhaupt einem Verband angehören – und werden am Ende auch etwas, aber aus Mitgliedersicht viel zu wenig bekommen.
- Je mehr sie pro vergütetem Fall rausschlagen, desto weniger vergütete Fälle werden übrigbleiben.
- Der BdB muss die Betreuungsvermeidungsstrategie gut finden, weil das die künftige Existenzgrundlage der auch im BdB organisierten Betreuungsvereine sein wird. Je besser aber die Vereine finanziell abgesichert werden, desto mehr selbstständige Betreuerexistenzen werden vernichtet. Der BdB wird sich ein Nullsummenspiel innerhalb seiner Mitgliedschaft nicht lange leisten können.
Die Berufsverbände sollten im Übrigen die Entwicklung der sog. Arbeitsplatz-Vollkosten im öffentlichen Dienst im Blick behalten. Im Moment liegt diese Summe aus Personal- und Sachkosten einer angestellten Kraft in der Eingangsstufe des gehobenen Dienstes E9 bei knapp 60 € siehe auch http://www.bkpv.de/ver/pdf/gb2013/goetz_schnitzenbaumer.pdf, ein Berufsbetreuer kostet die Justiz 44 €. Wenn statt der geforderten 49 % Aufwandserhöhung die Summe von Stundensatz- und Stundenansatzerhöhungen auch nur 35 % betragen sollte, ist ein selbständiger Berufsbetreuer genauso teuer wie ein Behördenbetreuer.
Wenn die Länder im Zuge der Kommunalisierung des Betreuungswesens fixe Haushaltsvolumina für das Betreuungswesen zur freien Verwendung auf die Kommunen übertragen sollten, haben diese dann nicht nur den klaren ökonomischen Anreiz, möglichst viele Betreuerbestellungen einzusparen, sondern auch, für die unabweisbaren Bestellungen wieder ihre eigene Mitarbeiter vorzusehen, die sie besser auslasten und steuern können als die Selbständigen.
Die wahrscheinliche Perspektive für die Berufsbetreuer ist, dass bis 2019/2020 eine Erhöhung vorrangig der Stundenansätze kommen wird, evtl. mit einem kleineren Zuschlag auf die Stundensätze (5 € oder weniger), im Gesamtvolumen von max. 20 %. Im gleichen Umfang werden die vergüten Betreuerbestellungen heruntergefahren gegenüber der Zahl im Jahr 2015.