Neue Gerichtsentscheidungen vergrößern die Unklarheit weiter
Es soll als Indikator für den Betreuungsaufwand dienen: eine außerhalb einer Einrichtung lebende betroffene Person verursacht beim rechtlichen Betreuer einen größeren Handlungs- und Entscheidungsbedarf bei der Organisation des täglichen Lebens als eine, die in einer solchen Einrichtung lebt, wie das Landgericht Rottweil in seinem Beschluss vom 23.06.2017 – 1 T 103/17 fragte. Der geringere Stundenansatz soll die Entlastung des Betreuers widerspiegeln.
Im klassischen Pflegeheim ist die Abgrenzung zu einer zeitlich geringfügigen ambulanten Betreuung noch unproblematisch. Dass die anfallenden Betreueraufgaben im Heim geringer sind, beruhe auch darauf, dass ein Heim von einer geschulten Leitung und unter Heranziehung von ausgebildetem Pflegepersonal geführt werde, wie der Bundesgerichtshof am 23.01.2018 – XII ZB 176/07 – feststellte.
Aber bei den neuen Wohnformen in Eingliederungshilfe und Pflege hat es die Rechtsprechung bisher nicht geschafft, einfach und formal feststellbare Abgrenzungskriterien zu entwickeln. Eher banal und wenig hilfreich ist die Erkenntnis des BGH in seinem Beschluss vom 28. November 2018 – XII ZB 517/17, dass auch ein schwerstpflegebedürftige Bewohner einer ambulant betreuten Pflege-Wohngemeinschaft (§ 38a SGB IX) vergütungsrechtlich nicht in einem Heim lebt, Voraussetzung sei, dass er die tatsächlichen Pflege- und Betreuungsleistungen von einem, mit seinem Vermieter nicht identischen, Leistungsanbieter bezieht oder beziehen darf. Mindestvoraussetzung des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs ist, dass Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen „aus einer Hand“ bereitgestellt werden.
Kein Heim liegt vor, wenn der Betreuer verpflichtet ist, die 24-stündige Betreuung und Versorgung des Betreuten zu organisieren und sicherzustellen, so der BGH. Im entschiedenen Fall musste sich der Betreuer um die Organisation der Dienstleister für Beatmungstechnik und künstliche Ernährung sowie um die Organisation der Apotheke, des Optikers, des Augenarztes und der Hygieneartikel und auch die Überwachung und Auswahl des Pflegedienstanbieters selbst kümmern.
Damit ist für die Vergütung letztlich entscheidend, für welche behinderten und pflegebedürftigen Menschen wieviel Stunden tatsächliche Pflege- und Betreuungsleistungen erbracht werden und wieviel Organisationsaufwand für den rechtlichen Betreuer übrig bleibt. Beim Landgericht Kleve hatte die 4. Beschwerdekammer am 09.11.2011–4 T 178/11 gegen das Heimkriterium entschieden und die höhere Vergütung für einen Betroffenen in einer 3-Personen-Wohngemeinschaft der Eingliederungshilfe bestätigt: es wurde keine Vollverpflegung bereitgestellt, der Betroffenen erhielt ambulante Eingliederungshilfe zum selbständigen Wohnen im Umfang von 7 Stunden wöchentlich durch „Fachpersonal“ (gemeint waren offenbar Fachleistungsstunden) und außerhalb dieser Zeit stand kein ausgebildetes Personal bereit.
Dieselbe 4. Kammer des LG Kleve entschied hingegen am 17.01.2018 – 4 T 2/18, dass 9 wöchentliche Fachleistungs- und Assistenzstunden vergütungsrechtlich einen heimähnlichen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. von § 5 VBVG schafften. Dem Betroffenen wurden vom überörtlichen Sozialhilfeträger LVR gerade einmal 3 Stunden Reinigung, 0,75 h Wäschepflege, 1,0 h Kochen und 0,5 h Einkaufen, daneben 3 Stunden allgemeine Fachleistung, 0,25 h Geldverwaltung und 0,5 h Gesundheitsfürsorge gewährt. Damit seien „… die wesentlichen für die Lebensführung erforderlichen wöchentlichen Aufgaben abgedeckt und eine regelmäßige Kontrolle und Unterstützung des Betreuten gewährleistet, sodass sich eine deutliche Verringerung der anfallenden Betreueraufgaben“ ergäbe…
3,75 Fachleistungsstunden schaffen eine heimähnliche, die rechtliche Betreuung wesentliche entlastende Versorgung? Wohl kaum. Aber es lässt schlimmes befürchten, wenn im kommenden Jahr die stationären Einrichtungen in der Behindertenhilfe zugunsten neuer Wohnformen und weiterer Ambulantisierung abgeschafft werden.