Ungedeckte Pflegekosten: immer prüfen, wann eine öffentliche Stelle Kenntnis vom Bedarf hatte

Dann ist auch das Eingehen einer Ausfallbürgschaft für Betreuer ein kalkulierbares Risiko

Aus einer Ausfallbürgschaft kann ein Bürge erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Gläubiger ernsthaft versucht hat, sich aus vermögenswerten Ansprüchen des Schuldners zu befriedigen. Wenn Berufsbetreuer sich gezwungen sehen, für ungedeckte Pflegekosten zu bürgen, müssen Pflegeleistungserbringer zuvor auf die Durchsetzung von Ansprüchen auf Hilfe zur Pflege hingewirkt haben, bevor Betreuer als Bürgen haften müssen.

Leistungen der Hilfe zur Pflege gem. § 61 SGB XII sind gem. § 18 SGB XII ab dem Zeitpunkt zu gewähren, zu dem der Sozialhilfeträger Kenntnis von den bedarfsbegründenden Umständen hatte.

Mit dieser Begründung entscheid das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 21.03.2018 (4 U 117/16), dass eine anwaltliche Berufsbetreuerin nicht für ungedeckte Pflegekosten haften musste, obwohl sie dafür eine Bürgschaft übernommen und nicht rechtzeitig einen Sozialhilfeantrag gestellt hatte.

Die Betreuerin hatte einen Pflegedienst beauftragt und dem Vertrag handschriftlich hinzugefügt: „Pflegekasse 550,00 €, Restkosten für Pflege übernimmt Sozialamt oder gesetzl. Betreuerin Fr. A“. Über neun Monate liefen ungedeckte Pflegekosten in Höhe von ca. 16.000 € auf. Erst danach beantragte sie eine Kostenzusage, die mit dem Verweis auf den fehlenden Antrag abgelehnt wurde. Danach wurde sie auf Wunsch der Betroffenen aus der Betreuung entlassen. Ebenso wenig wie die ehemalige Betreuerin kannte der Anwalt des Pflegedienstes den § 18 SGB XII, hielt daher die Ablehnung der Sozialhilfegewährung für rechtmäßig und wollte die Betreuerin aus der Ausfallbürgschaft in Anspruch nehmen.

Das OLG Frankfurt am Main wies auch in 2. Instanz die Zahlungsklage des Pflegedienstes aus der Ausfallbürgschaft ab. Die Bürgschaftserklärung der Berufsbetreuerin sei zwar wirksam, aber kein Forderungsausfall eingetreten. Der Pflegedienst habe nach der Aufhebung der Betreuung sowohl die Zwangsvollstreckung gegen die Betroffene versuchen als auch Druck auf sie ausüben müssen, gegen den Sozialhilfeträger zu klagen. Diese Klage habe wegen § 18 SGB XII Erfolgsaussichten gehabt, weil die Betreuerin vor dem Vertragsschluss mit dem Sozialamt über die Notwendigkeit der Pflegehilfe telefoniert habe und dort auch ihre Bedürftigkeit bekannt gewesen sei. Damit habe der Hilfeträger Kenntnis von den bedarfsbegründenden Umständen gehabt, auf eine Antragstellung komme es nicht an.

Aus der Sicht der Berufsbetreuer grenzt das Forderung eines Pflegedienstes, bei Vertragsabschluss eine Ausfallbürgschaft einzugehen, an Erpressung im Sinne von § 253 StGB. Ambulante Pflegedienste haben jedoch, anders als Heimbetreiber, gegenüber dem Träger der Hilfe zur Pflege eine schwache Rechtsposition: sie können wegen § 19 Abs 6 SGB XII auch nach dem Tod des Pflegebedürftigen nicht in eigenem Namen gegen das Sozialamt vorgehen, nur Einrichtungen haben einen nachgehenden Anspruch. Ambulante Pflegedienste können sich den auf die Erben übergegangenen Sozialhilfeanspruch gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht abtreten lassen, bevor der Sozialhilfeträger den Anspruch durch Bescheid festgestellt hat (BSG vom 21.09.2017 – B 8 SO 4/16 R). Mit Hilfe einer erweiterten Auslegung des § 18 SGB XII können Betreuer auch ungedeckte Pflegekosten aus der Zeit vor ihrer Bestellung geltend machen. Auch mit der Prüfung der Betreuungsbedürftigkeit durch die örtliche Betreuungsstelle als Bestandteil eines Betreuerbestellungsverfahrens erhält nämlich der örtliche Sozialhilfeträger Kenntnis vom sozialhilferechtlichen Hilfebedarf. Das Sozialgericht Frankfurt verpflichtete mit Urteil vom 27.9.2013 (S 30 SO 138/11) die Kommune als örtlichen Sozialhilfeträger zur Übernahme von Kosten einer Einrichtungsunterbringung ab dem Zeitpunkt, zu dem die Betreuungsstelle sich mit der Problemlage des Betroffenen befasste, die sowohl Betreuungs- wie auch Hilfebedürftigkeit auslöste.