Selbstbestimmung und Kosteneinsparung schließen manchmal einander aus

BGH: Ehrenamtler-Vorrang um jeden Preis

Das sah aus der Sicht der Länderjustizverwaltungen nach einer Win-Win-Situation aus: im Rahmen des Bereuungsrechtsreformprozesses setzen die Behindertenverbände im BGB unter dem Leitmotiv „Selbstbestimmung“ einen minimalen Betreuungsbegriff durch, der in der gerichtlichen und behördlichen Praxis zu einer deutlichen Reduzierung der Betreuerbestellungen führen würde. Um noch mehr Betreuervergütungen einsparen zu können, wird möglichst häufig und frühzeitig auf ehrenamtliche Betreuer verwiesen, falls es sie denn gibt.

Nun hat der Bundesgerichtshof demonstriert, dass Selbstbestimmung und Kostensenken nicht immer zusammengehen. In einem Beschluss vom 11. Juli 2018 (XII ZB 642/17) wies der 12. Senat den Wunsch eines psychisch kranken Betroffenen zurück, weiter von seinem Berufsbetreuer betreut zu werden, weil er zu ihm ein Vertrauensverhältnis entwickelt habe. Obwohl der Betroffene wegen seiner Persönlichkeitsstörung Schwierigkeiten hatte, zu neuen Personen eine soziale Beziehung aufzubauen, musste er einen ehrenamtlichen Betreuer akzeptieren, den die Betreuungsbehörde für geeignet hielt.

Der Gesetzgeber habe der ehrenamtlichen Betreuung bewusst den Vorrang vor der beruflich geführten Betreuung gegeben, so der BGH. Diesen habe das Betreuungsgericht auch gegenüber dem Vorschlag des Betroffenen zu beachten, einen bestimmten Berufsbetreuer zu bestellen.

Als weitere Rechtfertigung, die Selbstbestimmung des Betroffenen zu übergehen, griff der 12. Senat dann ein Motiv des Betreuungsrechtsgesetzgebers auf, das mit der Wirklichkeit des Betreuungswesens in den letzten 20 Jahren offenbar keine Bedeutung hatte: mit dem Ehrenamtler-Vorrang habe der Gesetzgeber das legitime Ziel verfolgt, dass „Berufsbetreuer mit ihrer besonderen Qualifikation den Betroffenen vorbehalten sein sollen, die deren Fähigkeiten und Kenntnisse besonders benötigten“. Fünf Wochen zuvor hatte die Justizministerkonferenz noch erklärt, Berufsbetreuer müssten über keine besonderen Kenntnisse verfügen, das könne doch jeder…

Ziemlich hilflos zeigte sich der 12. Senat dann bei der Rechtfertigung des Ehrenamtler-Vorrangs, wenn es gar nicht ums Kostensparen geht. Da musste schon der Gleichbehandlungsgrundsatz herhalten, um Zweifel zu säen, ob die Wahl eines Berufsbetreuers durch den Betreuten doch berücksichtigt werden müsse, wenn die betreute Person vermögend wäre, also den gewünschten Berufsbetreuer auch selbst bezahlt.

Einen Ausweg aus seiner selbstgeschaffenen argumentativen Sackgasse wies der 12. Senat dann doch noch: eine Berufsbetreuung komme erst dann in Betracht, wenn die betreute Person den ehrenamtlichen Betreuer gänzlich ablehne und eine Betreuung ansonsten nicht möglich sei. Im entschiedenen Fall hatte der Anwalt des persönlichkeitsgestörten Betroffene dergleichen offenbar nicht vorgetragen.

Eine Absage stellt die Entscheidung übrigens auch für die Vorstellung des BdB von Betreuung als einen von den Sozialressorts finanzierten Markt dar, auf dem sich Berufsbetreuer ihre Klienten akquirieren: wer noch so fit ist, sich einen bestimmten Berufsbetreuer zu wünschen, der braucht gar keinen solchen.