Berufsbetreuer möchten auch gerne Clearer sein

BdB will anderes Clearing-Modell, BVfB gar kein Clearing

Im Abschlussbericht der BMJV-Erhebung zu den anderen Hilfen schätzt das durchführende Institut IGES ein, dass bei konsequenter Ausschöpfung des betreuungsvermeidenden Potentials anderer Hilfen künftig 10 – 15 % der Betreuerbestellungen eingespart werden könnten. Weil die Länderjustizminister diese Quote offenbar enttäuschend niedrig fanden, legte das IGES nach und empfahl, zusätzlich ein Modell einer „zeitlich begrenzten Fallverantwortung und erweiterten Assistenz“ mit folgenden Elementen zu erproben.

1. Die bestehenden Zuständigkeiten des Betreuungsgerichts und der Betreuungsbehörde nach einer Betreuungsanregung (Sachverhaltsaufklärung, Sozialbericht) bleiben unverändert.

2. Die Betreuungsbehörde identifiziert aufgrund ihrer Sachverhaltsermittlung und auf der Grundlage eines Kriterienrasters diejenigen Vorgänge, bei denen Aussicht besteht, durch ein befristetes Fall-Management eine rechtliche Betreuung abwenden oder einschränken zu können.

3. Bei Zustimmung der Betroffenen und im Benehmen mit dem Gericht werden die geeigneten Vorgänge an das Fall-Management übergeben.

4. Das Fall-Management wird durch für das Modell ausgewählte, erfahrene Betreuer durchgeführt, die mit den Betroffenen im Sinne einer Assistenz an der Regelung der individuell erforderlichen Angelegenheiten arbeiten (aber nicht über die Befugnisse eines rechtlichen Betreuers verfügen).

5. Die Beauftragung erfolgt durch die Behörde im Benehmen mit dem Gericht sowie ggf. im Rahmen eines mit der Justizverwaltung vereinbarten Mengenbudgets.

6. Das Fall-Management ist zeitlich begrenzt, z.B. wie in Österreich im Regelfall auf drei Monate, mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere drei Monate in begründeten Fällen.

7. Zum Ende des Fall-Managements prüft die Behörde im Rahmen einer erneuten Sachverhaltsermittlung und erstellt den Sozialbericht an das Betreuungsgericht, in dem sie Stellung nimmt, inwieweit eine Betreuung nunmehr noch für erforderlich erachtet wird.

8. Die Finanzierung des zeitlich begrenzten Fall-Managements erfolgt durch die Justiz.

9. Da das Fall-Management inhaltlich in der Regel der besonders arbeitsintensiven Initialphase einer rechtlichen Betreuung entsprechen wird, muss die Vergütung für das Fall-Management diesen Aufgaben angepasst werden.“

Als Ziel eines Clearingverfahrens bezeichnet es das IGES, die Abklärung der Möglichkeit der Betreuungsvermeidung bzw. der Einschränkung der erforderlichen Aufgabenkreise zu erproben.

Orientiert hat sich das IGES mit seinen Vorschlägen an dem in Österreich eingeführten und bereits evaluierten (Mayrhofer et al., 2016) „Clearing plus“ zur Vermeidung von Sachwalterschaften/Erwachsenenvertretungen.

Ein weiteres Vorbild ist das Projekt „Komplementäre Hilfen“ des Katholischen Sozialdienst e.V. in Hamm. Betroffene müssen für die Aufnahme in dieses Projekt u.a. folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • „Es besteht Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft des betroffenen Menschen.
  • Alles was zu regeln ist, kann mit dem betroffenen Menschen gut besprochen werden.
  • Von dem betroffenen Menschen können eigenständige Entscheidungen getroffen werden.“

Die Empfehlung, dass Clearing-Verfahren durch die Justiz finanziert werden sollten, begründet das IGES mit seiner „Anreizkonformität“, d.h. sofern das Modell erfolgreich sei, profitiere der Justizhaushalt von den vermiedenen Ausgaben für die rechtliche Betreuung.

Das skizzierte Modell sollte unter Nutzung der Erfahrungen aus Österreich sowie Hamm in seinen Einzelheiten weiter spezifiziert und anschließend mit qualifizierter wissenschaftlicher Begleitung und Evaluation erprobt werden.

Wer bezahlt das Clearing und was kann Clearing einsparen?

Im Vorfeld der Veröffentlichung des Abschlussberichts gab es einen bizarren Streit zwischen Vertretern der Länderjustizministerien und der kommunalen Spitzenverbände, wer das Modellprojekt finanzieren müsse (natürlich das Bundesjustizministerium) und wer den späteren Regelbetrieb. Als weiteres Instrument einer Betreuungsvermeidungsstrategie würde das Clearingverfahren seine optimale Wirksamkeit letztlich erst in Kombination mit einer Kommunalisierung der Betreuungsvergütung entfalten: wenn die Kommunen eine fixe Mittelzuweisung des Landes in Höhe der bisherigen Betreuungsaufwendungen der Justizkasse bewirtschaften würden, wäre die Beauftragung eines befristeten Clearings eine lohnende Investition in die Vermeidung einer dauerhaften Betreuung. Der Preis dafür wäre allerdings ein hoher Erwartungsdruck auf die Clearingkräfte, eine Betreuerbestellung möglichst oft für nicht notwendig zu erklären.

Wären die Kommunen auch finanzverantwortlich, dann wären sie daran interessiert, dass ein Clearinginstrument mehr als 10 – 15 % Betreuerbestellungen vermeidet, damit sich der Kostenaufwand für die höheren Stundenansätze in den ersten drei bis sechs Monate später amortisiert. Daher kämen als Vertragspartner fürs Clearing nur die ohnehin von den Kommunen abhängigen Betreuungsvereine und nicht die selbständigen Berufsbetreuer in Betracht. Im Verhältnis zu den etwa 150 Clearingkräften im österreichischen Regelbetrieb (Österreich hat etwas mehr als ein Zehntel der Einwohner und etwa ein Zwanzigstel der Betreuungsfälle Deutschlands) würde ein deutscher Regelbetrieb bundesweit etwas mehr als das fünfzehnfache an Vollzeitkräften erfordern, rund 2.500. In Deutschland gibt es weniger als 3.000 Vereinsbetreuer. Clearing wäre dann das künftige Kerngeschäft der Vereine und die Garantie ihrer Personalkostenfinanzierung.

Auch die Justiz würde durch ein obligatorisches Clearing entlastet: ein nicht mehr bestellter Betreuer muss nicht beaufsichtigt werden, ein Clearer ohne Stellvertretungsbefugnis und Aufgabenkreise auch nicht.

BdB möchte auch Clearer bereitstellen

Die Betreuerberufsverbände würde ein Clearing-Regelbetrieb in eine schwierige Situation bringen. Im Bundesverband der Berufsbetreuer/innen (BdB) sind auch Betreuungsvereine Mitglied. In einer Stellungnahme zum Clearingprojekt weist der BdB-Vorstand hin, dass er im Rahmen seines Betreuungsmanagement-Ansatzes schon immer Betreuung ohne Vertretungsbefugnis präferiert habe. Alle seine Mitglieder, auch die selbständigen Berufsbetreuer, seien für das Clearing geradezu prädestiniert. Um das vorgesehene Fallmanagement leisten zu könnten, müssten aber deutlich mehr als die für die ersten drei Monate einer Betreuerbestellung gesetzlich vorgesehenen 8,5 Stunden vergütet werden.

Im Übrigen bringt der BdB seine alte Idee einer Berufsbevollmächtigung wieder ins Spiel: die Fälle für ein Fallmanagement sollten nicht behördlich zugeteilt, sondern „selbst-mandatiert“ werden. Die Berufsbetreuer sollen sich ihre vergüteten 4 – 5 Clearingfälle selbst akquirieren können, d.h. die betroffene Person erteilt dem Clearer nach BdB-Konzept eine Vollmacht und kann sie jederzeit wieder entziehen, wenn der/die Bevollmächtigte nicht den Erwartungen der Vollmachtgeber entspricht. Dass als Clearingfälle nur geschäftsfähige Personen in Betracht kommen, die dementsprechend Vollmachten erteilen könnten, schließt der BdB aus den Kriterien für das Modellprojekt in Hamm, die als Voraussetzungen für eine Projektteilnahme neben Kooperations- und Besprechungsfähigkeit auch Entscheidungsfähigkeit verlangt.

Abgesehen davon, dass der Zweck eines Clearingverfahrens (Feststellung, wer dauerhaft betreuungsbedürftig ist und wer nicht) verfehlt wird, wenn nach Vorstellung des BdB nur geschäftsfähige Personen daran teilnehmen sollen (wer eine Vollmacht wirksam erteilen kann, braucht offensichtlich keinen Betreuer): warum sollten die Länder für die Unterstützung nicht betreuungsbedürftiger Menschen noch mehr Kosten aufwenden als für Betreuungsbedürftige, deren Betreuungen vermieden werden sollen?

BVfB: wozu Clearing, wenn Betreuerbestellung gar kein Grundrechtseingriff ist?

Der Vorstand des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer (BVfB) weiß, dass seine Mitglieder, ausschließlich selbständige Berufsbetreuer, für die Clearingverfahren gar nicht gefragt sein werden und kann es sich daher leisten, das Clearingkonzept abzulehnen. Die Begründung dafür ist von erfrischender Schlichtheit: eine Betreuerbestellung stelle gar keinen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar, sondern diene ausschließlich deren Verwirklichung. Das allerdings sehen nicht nur das Bundesverfassungsgericht anders (2.7.2010 – 1 BvR 2579/08; 2.8.2001 – 1 BvR 618/93), sondern auch nahezu die gesamte betreuungsrechtliche Literatur und alle anderen Akteure im Betreuungswesen.

Der BVfB wird wohl eine andere Argumentation entwickeln müssen, um der Doktrin der konsequenten Betreuungsvermeidung entgegenzutreten und seine zutreffende These zu begründen, dass die Stellvertretungsbefugnis der Betreuer ein weiterhin notwendiges Instrument zur Erfüllung des staatlichen Schutzauftrages für generell und situativ geschäftsunfähige Personen darstellt.